Hören

Was ich nicht hören kann, kann ich nicht aussprechen

Wenn ein Mensch eine Fremdsprache lernt, so fängt er meist erst damit an, wenn er seine Muttersprache bereits lesen und schreiben kann. Heute haben viele Kinder bereits in der Grundschule die Gelegenheit, durch Hören und Nachsprechen erste Kenntnisse in Englisch oder Französisch zu erwerben. Doch die Fremdsprachenlehrer an den höheren Schulen halten das für sinnlos. Für den französischen Hörforscher Alfred Tomatis sind Hören und Sprechen eng miteinander verknüpft. Diese Erkenntnis muss auch auf den Spracherwerb angewandt werden. Seine Forschungsergebnisse legen nahe, jeden Sprachunterricht erst einmal mit reinem Hören zu beginnen.

Zweisprachig aufgewachsen – Vorteil fürs Sprachenlernen

Ich hatte das Glück, nicht nur zweisprachig Englisch und Deutsch aufzuwachsen, sondern schon mit 7 Jahren spielerisch Französisch zu lernen. Die ersten 2 Jahre sogar nur mündlich und ohne zu schreiben. Als dann ab der 5. Klasse endlich Englisch und ab der 7. Klasse Französisch auf dem Lehrplan stand, fiel mir das Lernen beider Sprachen sehr leicht. Was genau mein Vorteil war, wurde mir allerdings erst Jahrzehnte später bewusst. Es trieb mich

zur Suche nach wissenschaftlichen Hintergründen und Möglichkeiten, das Fremdsprachenlernen für alle leichter zu machen. Die Lektüre der Autobiografie von Alfred Tomatis „Das Ohr und das Leben“ war pure Inspiration:

Alfred Tomatis

Der ausgebildete HNO-Arzt Alfred Tomatis (1920 – 2001) wurde in Nizza in eine italienisch-stämmige Familie von Opernsängern hineingeboren. Er leistete mit seiner Forschung über das Hören wesentliche Beiträge zum Sprachenlernen. Oft zitiert ist seine Erkenntnis: „Der Kehlkopf gibt nur Laute von sich, die das Ohr hören kann.“ Wie eng Stimme und Gehör zusammenhängen, entdeckte er in seiner Arbeit mit Sängern. Enrico Carusos Gehörprobleme bescherten ihm sogar seine charakteristische Stimme..Zuhause in Nizza wurde der lokale Dialekt, das Patois gesprochen. Sein Großvater, der sich selbst Französisch beigebracht hatte, war sein großes Vorbild. Der junge Tomatis lernte selbst erst in der Schule Französisch und tat sich damit zunächst einmal ziemlich schwer. Doch schon früh entdeckte er, dass er sich die Fakten besser merken konnte, wenn er sich das Unterrichtsmaterial selbst laut vorlas.Das war übrigens auch die Strategie der Autorin, zumindest in den Fremdsprachen, Geschichte und Erdkunde.

Früher wurden im Sprachunterricht noch die Lektionstexte laut vorgelesen. In letzter Zeit empfinden Sprachlehrer und Schüler dies jedoch als zu langweilig. Der moderne Sprachunterricht legt den Fokus auf Kommunikation. Das ist für sich genommen sehr löblich. Doch noch immer müssen die Schüler Vokabellisten auswendig lernen und Grammatikregeln pauken. Allerdings, ohne dass sie die Vokabeln und die Grammatik im Kontext hören – und zwar immer wieder. Manchmal haben alte Methoden doch einen tieferen Sinn gehabt. Sie können modernisiert werden, doch die Abschaffung ist keine Erleichterung für den Schüler.
Im Folgenden geht es darum, wie diese Forschungsergebnisse von Tomatis sich auf das Erlernen einer Fremdsprache auswirken können.

Hören ist die Grundlage

Wer kennt das nicht: Die Mühe, besondere Laute einer Fremdsprache hervorzubringen, wie zum Beispiel das englische „th“. Es klingt für viele Deutsche wie ein „s“ und wird folglich auch so wiedergegeben. Genau hier liegt das Problem: Dieser Laut war für den Lerner als Kind in einer Familie, die keinen Umgang mit der englischen Sprache pflegt, nie zu hören. Alfred Tomatis fand heraus, dass sogar das Ungeborene bereits im 5. Schwangerschaftsmonat beginnt, die Stimme der eigenen Mutter und auch die Laute der Umgebung zu hören. Das könnte ein guter Grund sein, warum es uns so einfach fällt, unsere Muttersprache zu lernen: Die Laute sind uns schon seit vor unserer Geburt vertraut. Sofern die Mutter während der Schwangerschaft keine anderen Sprachen spricht oder hört, ist auch das Kind nur auf diese eine „Mutter-Sprache“ vorbereitet.

In Alfred Tomatis‘ Autobiografie „Das Ohr und das Leben“ erzählt er von einem 4-jährigen französischen Mädchen, das besser Englisch verstand als seine Muttersprache. Der Vater hatte seine Tochter zum Arzt gebracht, da dies zu einem Handicap zu werden drohte. Tomatis jedoch fragte nach, ob die Mutter nicht vielleicht während der Schwangerschaft Englisch gesprochen habe. Es stellte sich heraus, dass sie während der ersten drei Monate tatsächlich als Dolmetscherin gearbeitet hatte.

Hören kann man trainieren

Tomatis entwickelte das sogenannte „elektronische Ohr“ um seinen Patienten zu einem besseren Gehör zu verhelfen. In seiner Autobiografie zitiert er das Urteil seines Kollegen André Le Gall’s über weitere Möglichkeiten dieses Gerätes: „Ein Franzose kann sich – durch lange Aufenthalte in England oder aber rasch durch die Benutzung dieses Apparates – einen ausgezeichneten englischen Akzent  zulegen, doch sobald er wieder nach Paris zurückkehrt, hört und spricht er wieder Französisch.“ („Die Behebung gewisser psychologischer und psychopädagogischer Mängel durch die Apparatur mit Tomatis-Effekt. März 1961).

Einen Beweis, dass das elektronische Ohr tatsächlich so eingesetzt wurde, fand sich bei youtube: In einem Interview erklärt der Schauspieler Gérard Depardieu (französsich mit englischem Transkript), wie er mit der Tomatis-Methode Englisch lernte. Er beherrscht die Sprache so gut, dass er alles versteht. Sein Akzent, ist so leicht, dass er als Schauspieler in Hollywood sehr erfolgreich war.

Unser Warm-Up zum Sprachenlernen: 

Auf der Basis dieser Forschungen entschloss ich mich, ein Hörtraining an den Anfang unserer Sprachkurse zu setzen. Jeder unserer Kurse fängt also mit einem Audio an, das mit Muttersprachlern aufgenommen wurde. Zunächst versteht der Schüler natürlich nichts. Doch mit dem regelmäßigen Hören fängt man an, einzelne Worte zu unterscheiden und die Satzmelodie prägt sich ein. 

Im zweiten Schritt lässt der Schüler sich den Audio-Text vorlesen während er im dekodierten Material eine Wort-zu-Wort Übersetzung mitliest. So kann man einfach und im Kontext Vokabeln lernen. Die Satzstruktur und die Grammatik werden erst einmal abgespeichert. Später sind sie jedoch intuitiv abrufbar. Das heißt, der Schüler merkt selbst, wenn er einen Fehler macht und kann sich selbst korrigieren. Schließlich hat er es schon Tausende Male richtig gehört.